Babylope

Das Schlachten hatte schon 120 Tage und Nächte gedauert, Blut, Blut, überall Blut, die abgezogenen Felle flatterten im Wind, die Kochstellen wurden nicht kalt, endlos hallte das Halali in den Wäldern.
Ausgemerzt! Jawohl! Nachdem bekannt geworden war, daß diese Tiere hier nicht heimisch waren, daß sie ausgemachte Schädlinge waren, Neozooien, die als extrem aggressiv und gefährlich eingestuft werden mußten und die hiesige Fauna vergifteten, waren sie zur bedingungslosen Jagd und Ausrottung freigegeben. Keines sollte entkommen. Sie waren fremd hier, fremd und eingeschleppt. Lange hatte man sie ins Reich der Kryptozoologie verbannt, weil nie ein Beweis ihrer Existenz erbracht worden war; die wenigen Fotos, die es gab, galten allesamt als Fälschungen. "Hasen! Es sind HASEN!" So hieß es immer, wenn jemand eines gesichtet haben wollte. Der Hase und der Alkohol, dies sei die unselige Kombination, die die Legende des Jackalope gebiert habe.... oder, wohlmeinendere Forscher machten eine häßliche, den harmlosen Hasen schwer entstellende Krankheit dafür verantwortlich.
Doch nun, da dank moderner Ortungsmöglichkeiten und weitreichender Waldscans große Herden entdeckt wurden, und spätestens, als es gelungen war, eines Exemplars dieser seltenen Species habhaft zu werden, bestand kein Zweifel mehr.

Getötet, erforscht, seziert, in Formalin eingelegt und plastiniert wurde die gefangene Kreatur, und vor allem eindeutig als eigene und ganz und gar bösartige Species definiert, die, obwohl hasenähnlich, mitnichten mit dem friedlichen "Meister Lampe" verwandt war. "Sie sind vom Himmel gefallen", so wurde gemunkelt, zu fremd der Organismus, zu intelligent, zu feindselig das Gemüt. Und vor allem, man sagte ihnen telepathische Fähigkeiten nach, daß sie die Sinne der ihnen nachpirschenden Jäger zu trüben vermochten. Das sezierte Exemplar habe an einer Kopfverletzung gelitten, die ihm offenbar diese Fähigkeiten abhanden kommen ließ. Ob das Geweih einen Anteil an diesen besonderen Fähigkeiten besaß, war noch nicht erforscht.
Auch Tote gingen auf Ihre Kosten, dies wurde zweifelsfrei festgestellt. Im Magen des sezierten Tieres habe man menschliche Überreste gefunden, die als die eines seit Tagen vermißten Holzfällers identifiziert wurden. Dies war das Todesurteil für die ganze Rasse. Der Präsident persönlich hatte es angeordnet. "They're evil". Das genügte.

Die Spieße drehten sich ununterbrochen in jenen Tagen und die Jäger schnitten sich von Zeit zu Zeit genüßlich große Stücke goldbraunen Fleisches von den verkohlenden Kadavern. Ja, freßt sie! Freßt sie auf! Nichts soll von ihnen bleiben! Vernichtet sie!
Und wider ihres erschrecklichen Rufes war das Fleisch dieser Kreaturen außerordentlich wohlschmeckend, es war zart und besaß ein feines Wildaroma, und selbst das der ausgewachsenen Tiere erinnerte an das eines knapp zweijährigen "Überläufers" beim Wildschwein.
"Fast schade, daß wir sie nicht züchten...." so mochte mancher denken, der das Glück hatte, davon zu kosten. Aber man hatte darauf verzichtet, sie als Nutztier in Gefangenschaft zu halten. Sie waren zu intelligent, zu gefährlich, und ihre Leiber nicht fleischig genug, daß es lohnen möge - und vor allem, man fürchtete ihre die Sinne vernebelnden telepathischen Fähigkeiten.
Und so begnügte man sich, möglichst eine der nun zahlreich gefertigten Trophäen nach Hause tragen zu können. Zedernwälder wurden gerodet, um die kleinen Brettchen herzustellen, auf die die ausgestopften Köpfe oder nur die Gestänge der Tiere montiert wurden. Sie erzielten schon bald Höchstpreise. Auch Mäntel aus ihrem weichen Pelz waren sehr beliebt.
Das ganze Land war aufgerufen, sich an der Hatz zu beteiligen, wobei die meisten Bürger dennoch nie ein Jackalope zu Gesicht bekamen. Aber, jedem waren sie ein Begriff, jeder haßte sie, "horned jackrabbit" wurde in dieser Zeit zu einem beliebten Schimpfwort.



David Bowie hockte auf dem Dachboden des noblen New Yorker Hauses, wo er und seine Familie ein luxuriöses Appartement bewohnten.
Vor ihm stand der geöffnete Karton seines neuesten Computers. Kleine Löcher waren am Rand hineingebohrt.
"Kleines..." flüsterte er, und die Finger seiner linken Hand glitten ganz vorsichtig durch das weiche, braune Fell, das Tierchen blickte ihn mit großen, dunklen Augen an. Nein, das war kein Hase, kein gewöhnlicher Hase. Zwei kleine flaumbedeckte Wülste wölbten seine Stirn, die Augen blickten wach und ungewöhnlich lebhaft, fast ein wenig durchtrieben.

"Kluges Tierchen" er lächelte. "süßes, kleines Babylope. Ich beschütze Dich! Niemand tut Dir etwas." Er hielt die Hände schützend um das weiche Pelzknäuel und spürte, wie dessen kleines Herz raste, während es ihm seine Nase schnüffelnd entgegenreckte.
In Davids Händen rekelte das Tierchen sich entspannt und schnurrte leise, ein Laut außerordentlichen Wohlbefindens. Ein Geräusch, dem Schnurren der Katzen nicht unähnlich, und im Erwachsenenalter, besonders bei ausgewachsenen, männlichen Tieren, tief und kehlig. Aber hier, bei dem kleinen Jungtier, war es ein leises, gurrenden Geräusch, das Bowie signalisierte, daß das es ihm vertraute.
"Sie haben Deine Mutter, deinen Vater und Deine ganze Herde gemordet... aber jetzt bin ich bei Dir.", flüsterte David, und es traf ihn ein eindringlicher Blick aus den dunklen Augen, so wissend und fast ein wenig unheimlich. Es schien jedes Wort zu verstehen, das David sagte oder auch nur dachte. Man konnte ein Jackalope nicht belügen.
Wie zur Antwort schmiegte es plötzlich sein Köpfchen zart in seine Handfläche und stupste ihn mit der feuchten Nase. Es kitzelte. David kicherte. Und fast schien es, als lächelte auch das kleine Jackalope. Bowie war entzückt. Er hob es direkt vor sein Gesicht, sah ihm sekundenlang tief in die Augen, Sekunden, die sie zweifellos beide genossen, dann drückte er seine Nase in das weiche Fell und sog den Duft ein. Obwohl dieses Tier seit Tagen, seit David es draußen im Wald den Häschern entrissen hatte, hier in dieser unwürdigen Umgebung zu hausen verdammt war, so schien seinem Fell noch immer der Geruch von Wald und Wiese anzuhaften. "Harte Zeiten, Jacky, harte Zeiten für uns beide." Und er holte ein Stück blutiges Filet, das er heute morgen aus einem plötzliche Bedürfnis heraus beim Metzger gekauft hatte, aus der Tasche. Augenblicklich zeigte sich ein Anflug von rein animalischer Gier im Antlitz der Kreatur. Aber sie hielt still, fast so, als tue sie das mit Absicht, um ihr Gegenüber nicht zu verschrecken. Erst als Bowie den blutigen Fetzen direkt vor das Maul hielt, da schnappte es gierig zu und verschlang das Fleisch mit zwei großen Bissen.
Bowie war etwas überrascht. Sonst hatte er immer nur kleine Schälchen mit Katzenfutter in den Karton gestellt und am nächsten Tag leer wiedergefunden. Aber nun hatte er gesehen, mit welcher Gier "Jacky" zu fressen vermochte. Und es gefiel ihm. "Sehr schön, daß es Dir schmeckt!" Und er streichelte über das kleine Köpfchen mit den beiden Wülsten, während Jacky die langen Ohren anlegte, ihn mit großen Augen musterte und mit der Zunge über das Maul schleckte. "Mehr, mehr" schien es zu verlangen, und Bowie nahm den zweiten Streifen Filet aus dem Papier und hielt ihn dem Tierchen vor die Nase.
Jacky schnüffelte nur kurz, dann schnappte es zu und verschlang auch diesen zweiten Fetzen mit einem Haps.
"Buh, bist du hungrig, was?" Bowie lächelte und setzte das Pelztier wieder in den Karton, streichelte es und stellte ein Schälchen mit frischem Wasser hinein.



Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Bowie erstarrte augenblicklich, doch sie hatten ihn schon entdeckt. "Da! Da ist er! Da!!" Und dann polterten sie auf den Dachboden, ein ganzer Trupp dieser neuen Jackalope-Abwehrtruppe. Sie trugen diese futuristischen Helme auf dem Kopf, die die telepathischen Einflüsse fernhalten sollten, und sie hatten diese langen Stangen mit diesen gruseligen metallenen Haken bei sich, womit sie die Jackalopes am Geweih zu packen pflegten, um sie daran hochzuheben und dabei auf Distanz zu halten. Wer schon einmal versucht hatte, einen wütenden 12-Ender zu fangen, der wußte, warum. Das Geweih wurde dann zu einer tödlichen Waffe.
Vielen Tieren brach der Haken schon das Genick, was ihnen weitere Qualen ersparte.

Auch Jacky war sichtlich erschrocken, stellte die Ohren auf und blickte ängstlich zu Bowie - und fast ein bißchen beschwörend. Bowie hob das Tier wieder aus dem Karton und versteckte es unter seiner Jacke.
"Nein, Dich kriegen sie nicht, nein," wisperte er verschwörerisch. Jacky bohrte seine Krallen durch Bowies Hemd, daß es ihn piekte. Er hielt nun beide Hände schützend vor das Tierchen, dann sah er sich kurz um, ja, da standen sie, etwa 20 Mann, schwer bewaffnet und furchteinflößend mit ihren Anti-Telepathie-Helmen: "Mr. Jones! Bringen Sie uns die Kreatur! Sie verstoßen gegen das Evil-Defence-Gesetz!"
Und dann erschrak er fürchterlich, er hatte Iman bei der Truppe entdeckt. Auch sie trug so einen Helm, der ihr aber nicht richtig paßte und etwas zu tief ins Gesicht hing, was ein ganz klein wenig lächerlich aussah, doch Bowie war nicht zum Lachen: "Iman?! Auch Du, Iman!" rief er entsetzt. Iman aber bewahrte Ruhe, sie wies die Männer zur Geduld und trat einen Schritt hervor: "David, wir meinen es doch nur gut. Du weißt nicht, was Du tust.... es ist dieses widerliche Viech. Es verhext Dich!" Bowie warf den Männern einen kurzen Blick zu; lange und verletzt hingegen hafteten seine verschiedenfarbigen Augen auf seiner Frau, die ihn verraten hatte. Dann wandte er sich schlagartig ab, denn, wovon sie alle nichts wußten, das war dieses kleine, alte Dachfenster direkt hinter ihm, in der Dachschräge. Es hatte alle Sanierungen der letzten Jahrzehnte überstanden. Er preßte das Tier feste an sich, machte urplötzlich einen Satz über den Karton, er stieß die kleine Luke auf, gerade groß genug, daß er mit seinem schmalen Leib hindurchpaßte, und schob sich auf das Dach des Hauses. Hastig stieß er das Fenster zu, bevor seine Verfolger richtig begriffen, was da passiert war.

"Es hat keinen Zweck. Er steht schon unter seinem Einfluß!", rief der Anführer der Truppe, und, ernst: "Sie wissen, was das bedeutet." Sie nickten vielsagend. Einer der jüngeren hob bedenklich den Kopf: "Aber, es ist Bowie. Wir können doch nicht... David Bowie..."
"Darauf können wir keine Rücksicht mehr nehmen", entgegnete sein Vorgesetzter bestimmt: "Mann, es geht um die Sicherheit der Nation!" Und leiser fügte er hinzu: "Er ist nicht einmal Amerikaner..." Iman biß sich auf die Unterlippe und schwieg.




Wie wird es weitergehen mit David Bowie auf der Flucht? Und das ohne Kreditkarte?
Was wird aus Babylope? Wie schnell wird es wachsen? Ist es ein Männchen oder ein Weibchen? Und stellt es wirklich eine Gefahr für den Sailor und den Rest der Welt dar ? Oder übertreibt die US-Regierung wieder einmal maßlos, wie so oft?
Und wie wird es weitergehen mit Davids Beziehung zu Iman? Kann er ihr den Verrat jemals verzeihen? Oder wird er einsehen, daß sie recht hatte, das kleine Jackalope erwürgen und reumütig zu ihr zurückkehren? Äh - und wo ist Lexy eigentlich?

Fragen über Fragen....

(...to be continued...)




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